Die Wikipedia ist eine freie Enzyklopädie, zu der jeder beitragen kann. Das hat auch zur Folge, das unangemeldete Nutzer frei und nach eigenem Gusto Artikel einstellen können. Häufig sind solche Artikel von schlechter Qualität oder schlichtweg Fälschungen. Vor Kurzem habe ich ein besonders faszinierendes Exponat gefunden und möchte meine Erfahrungen teilen, wie man so etwas ausfindig machen kann.
Was passiert, wenn man einen neuen Artikel einstellt?
Über den Tag verteilt gibt es zahlreiche freiwillige Nutzer, die eine Eingangskontrolle durchführen. Hier wird die Spreu vom Weizen getrennt, die Schafe von den Böcken geschieden. Qualitativ äußerst minderwertige Artikel, die entweder gar nicht oder nur mit erheblichem Mehraufwand zu bereinigen wären, werden gerne schnellgelöscht. So eine Schnelllöschung läuft häufig nach dem Mehraugenprinzip. Die meisten Menschen bei der Eingangskontrolle besitzen keine administrativen Rechte, sodass sie eine Schnelllöschung erst einmal beantragen müssen. Ein Administrator schaut noch einmal darüber und entscheidet dann. Für den Fall einer Schnelllöschung schauen also häufig mindestens zwei Personen. Wenn es Zweifel gibt, wird eine reguläre Löschdiskussion eröffnet, über die dann mindestens sieben Tage lang diskutiert wird.
Das heißt aber nicht, dass jeder Artikel mit Mängeln sofort in die Tonne geworfen wird. Fehlende Formalia und Wikikonventionen, die bei Gott nicht jeder kennt, werden gerne von den Mitarbeitern der Eingangskontrolle behoben. Dazu gehören Kategorien, die Eintragung in das Wikidata-Projekt (wodurch Wikipedia-übergreifende Verknüpfungen mit z.B. anderssprachigen Wikipedia-Projekten geschaffen wird) und anderes diverses Kleinkram wie das Einfügen von Halbgeviertstrichen. Bei etwas stärkeren Qualitätsmängeln gibt es noch zusätzlich die Qualitätssicherung der Wikipedia, wo Rechtschreibung, Grammatik, Stil, Verlinkungen etc. noch etwas stärker abgeklopft wird.
Über den genauen Ablauf kann ich bei Zeiten noch einen anderen Beitrag schreiben. Aber hier geht es ja um einen guten Fake-Artikel und dafür bist du wahrscheinlich hier.
Worum geht es?
In dem vorliegenden Exponat geht es um die „Herren von Deuser“, ein Haus aus dem 12. Jahrhundert, und treue Vasallen des Hauses Lippe. Sie seien „in den Regionen des heutigen Deutschlands“ verbreitet gewesen und hätten hüben und drüben die verschiedensten Grundstücke besessen.
Im 14. bis 15. Jahrhundert hätte das angebliche Haus seinen Höhepunkt der Macht erreicht, in dem es viele Ämter unter dem Haus Lippe erreicht und sogar Kontakte zum „Königshaus und dem Heiligen Römischen Reich“ geführt hätte. Aber dann sei es leider zu internen Machtkämpfen und Zerwürfnissen gekommen, sodass das Haus heutzutage lediglich Schloss Rossach als sein eigen nennen kann.
Woran erkennt man Fäschungen?
Schon beim Lesen kamen mir die ersten Alarmglocken auf. Bei guten Fälschungen gibt es bestimmte wiederkehrende Muster:
- Obskures Thema: Ein Adelshaus mit tausendjähriger Geschichte zu erfinden und in die Wikipedia zu mogeln ist schon schwer. Natürlich kann man kein großes Haus erfinden, das einem Haus wie die Hohenzollern oder Wettiner ebenbürtig wäre; das würde sofort auffliegen. Was kann man sonst machen? Man sucht sich einfach ein kleineres bedeutendes Haus aus, hier das Haus Lippe. Lippe gehörte zwar dem Hochadel an und war Bundesfürst bis 1918 gewesen. Eine fiktive Grafschaft zu erfinden hätte dennoch die Gefahr, dass ein Geschichtsfan es als Fälschung entlarven kann. Also geht man eine Ebene tiefer: Ein Vasall des Hauses Lippe! Wirkliche Experten zu den Häusern eines kleinen Bundesfürsten dürfte es nicht geben. Das ist übrigens auch ein Grund, warum die deutschsprachige Wikipedia über Relevanzkriterien verfügt. Irrelevante Artikel werden gerne gelöscht, da potenziell die Informationen nicht überprüfbar sind.
- Auffällige Vagheit: Das Problem mit Fälschungen ist, dass man irgendwelche Behauptungen erfinden muss, um dem Artikel Glaubwürdigkeit zu verleihen. Jedoch sind zu fantastische oder detaillierte Schilderungen zum Scheitern verurteilt. Viel eher wird ein gefälschter Artikel auf leere Worthülsen und Platitüden zurückgreifen, um die auffällige Leere des Artikels zu füllen. Die Inhaltsangabe, die ich machte, ist wirklich schon der ganze Artikel. Eines Tages im 12. Jahrhundert kam das Haus Deuser, irgendwann wurden sie Freiherren, überall im heutigen Deutschland seien sie verbreitet gewesen. Konkrete Blaublüter, die dem Haus entstammen, werden nicht genannt, nicht ein einziges historisches Datum fällt. Die einzige konkrete Angabe ist, dass sie das Schloss Rossach besäßen. Das Schloss Rossach existiert auch – und befindet sich im Besitz des Hauses Berlichingen-Rossach. Literaturkenner werden es ahnen: Es handelt sich um die Nachkommen des Götz von Berlichingen, der mit dem schwäbischen Gruß „Leck mich im …“ gerne grüßte.
- Belege: Fälschungen werden schnell entlarvt, wenn es keinerlei Belege für die Behauptungen gibt. Daher müssen sich gute Fälscher die Mühe geben, glaubwürdige Belege anzugeben. In Zeiten von Google ist das natürlich schwer. Am besten gibt man hier ebenso obskure Werke aus dem 19. Jahrhundert als Beleg an, damit man sie schlecht belegen kann. Nur ist das leider als beliebte Masche für Belegfiktion hinreichend bekannt, sodass heutzutage so etwas erfahrene Wikipedianer nicht mehr verschrecken kann.
Fazit
Der Administrator Gestumblindi hat ein eigenes Fakemuseum für die besten Exponate errichtet. Dieses hier wird wohl nicht so schnell dort landen, weil ich den ja sehr schnell entttarnt habe. Insofern ist die Enttarnung keine besonders große Leistung meinerseits gewesen; in der Vergangenheit gab es schon unzählige Fälle. Dennoch hielt ich es für angebracht, diesen exemplarischen Fall etwas genauer zu erläutern, um auch „normale“ Leser zu sensibilisieren, wie man kritisch mit Informationen umgeht.
Der Artikel wurde um knapp 21 Uhr hochgestellt, ich entdeckte ihn um 23 Uhr und nach einstündiger ergebnisloser Recherche stellte ich einen Löschantrag, der um 7 Uhr Morgens zu einer Schnelllöschung führte. Das war natürlich schlau, Abends an einem Karfreitag eine Fälschung einzustellen. Da ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass wenige Nutzer aktiv sind, um sich um so etwas zu kümmern.
Tja, die Wikipedia braucht neue Nutzer, alleine um diesen Aufwand an Vandalismus zu bewältigen. Beteiligst du dich schon? Falls nein, warum nicht?