Keine Inhalte/Widgets in dieser Seitenleiste vorhanden.

Ach Latein, ich habe an dir beson­de­res Gefal­len gefun­den. Eine Spra­che, die von kaum jeman­dem gespro­chen wird, von vie­len ver­hasst, und von vie­len unver­stan­den ist. Eine Spra­che, die an tro­cke­ne Gram­ma­tik-Übun­gen erin­nert, des­sen Stun­den nur Über­set­zungs­rou­ti­nen waren, und doch besitzt du noch immer einen beson­de­ren Platz in mei­nem Herzen.

Wie ich zu dir fand

Wie begann noch ein­mal unse­re gemein­sa­me Geschich­te? Ich kann mich noch an mei­ne Grund­schul­zeit erin­nern – was für ein Kind ich damals nur war! Sobald mich mei­ne Deutsch-Leh­re­rin ansprach, kam damals aus mei­nem Mun­de nichts ande­res als zusam­men­hangs­lo­se Sil­ben, die sich auf­stau­ten und anschlie­ßend in einem Schwall etwas bil­de­ten, das einen ent­fernt an ein Wort erin­ner­te. Mit einer gars­ti­gen Stot­ter­krank­heit war ich beseelt, die mich zu einem Außen­sei­ter mach­te und den­noch war ich umso mehr bestrebt, alle Spra­chen der Welt zu sprechen.

Mit dem Eng­lisch-Unter­richt der Schu­le konn­te ich mich nicht so recht anfreun­den. Zu ein­fach, zu lang­sam lief sie für mich ab. Aber das grö­ße­re Pro­blem: In mei­ner Fami­lie läuft ein laten­ter Anti-Ame­ri­ka­nis­mus im Blu­te. Die Spra­che des Ame­ri­ka­ners soll ich ler­nen? Nein, mei­ne Moti­va­ti­on war dies­be­züg­lich nie sehr groß. Auch das Chi­ne­si­sche, Man­da­rin, mei­ne Mut­ter­spra­che, konn­te mich nicht rei­zen. Stun­den­lan­ge sinn­lo­se Abschrei­be­übun­gen, um eines Tages die chi­ne­si­schen Schrift­zei­chen zu beherr­schen, obgleich es doch schon eine latei­ni­sche Umschrei­bung für die Schrift­zei­chen gab! Wes­halb soll­te ich denn aber­tau­sen­de Schrift­zei­chen ler­nen, die von einer tota­li­tä­ren Dik­ta­tur dem chi­ne­si­schen Vol­ke auf­er­zwun­gen wurde?

Auch wenn ich mir heu­te wünsch­te, damals bes­ser auf­ge­passt zu haben (denn ich bin nach chi­ne­si­schen Maß­stä­ben ein Analpha­bet), ver­bin­de ich den­noch bis heu­te mit dem Chi­ne­si­schen eine auto­ri­tä­re Tra­di­ti­on, eine Dik­ta­tur und ein angeb­li­ches Vater­land, das ich kaum gese­hen habe, und mich, der im demo­kra­ti­schen Deutsch­land auf­ge­wach­sen ist, wohl kaum als sei­nen Sohn haben möchte.

Umso son­der­ba­rer ist es doch, dass ich zu dir durch mei­ne Fas­zi­na­ti­on für Cae­sar und das Römi­sche Reich gefun­den habe. Seit frü­hes­ten Stun­den gehör­te ich schon zu den größ­ten Bewun­de­rern des Römi­schen Rei­ches und die Römi­sche Geschich­te ist klar mei­ne Lieb­lings­pe­ri­ode. Aber was war denn am römi­schen Staa­te unter Cae­sar bes­ser als in der kom­mu­nis­ti­schen Dik­ta­tur Chi­nas? Und wenn ich den Ver­ei­nig­ten Staa­ten der geführ­ten Krie­ge wegen lan­ge Zeit skep­tisch gegen­über war, wie­so drü­cke ich ein Auge bezüg­lich der gal­li­schen Krie­ge zu, die zwar lus­tig in den Aste­rix-Comics ver­ar­bei­tet sind, aber eigent­lich Völ­ker­mor­de sind? Ach wer weiß, auch ich bin kein Mensch frei von Widersprüchen.

Tote Spra­che?

Wie ich zu mei­ner Über­ra­schung erfah­ren habe, war die Spra­che des Aste­rix-Böse­wich­ten zwar tot, führ­te aber den­noch ein unto­tes Dasein. Wie vie­le Wen­dun­gen mag man denn ken­nen, die latei­ni­schen Ursprun­ges sind? „In dubio pro reo“, „in spe“, „Pac­ta sunt servanda“?

Der ein­zi­ge, mit dem ich mich auf Latein unter­hal­ten kön­ne, sei der Papst, spot­te­te man, als sie von mei­ner Latein-Begeis­te­rung erfuh­ren. Aber das war mir recht. Wenn ich eine moder­ne Fremd­spra­che sprach, muss­te ich mich ent­schul­di­gen, dass mein Stot­tern mei­ne Sät­ze undeut­lich mach­ten. Wenn ich aber Latein sprach, muss­te ich nicht das Stot­tern preis­ge­ben, son­dern konn­te ein­fach behaup­ten, mein Gegen­über wäre nicht schlau genug für mei­ne Spra­che! Ja, wohin kind­li­che Min­der­wer­tig­keits­kom­ple­xe hin­füh­ren konn­te. Spä­ter aller­dings habe ich doch noch die Aus­spra­che die­ser ehr­wür­di­gen Spra­che gelernt und beherr­sche sie wohl deut­lich flie­ßen­der als die meis­ten ande­ren der Welt.

Daher begann ich noch zu Grund­schul­zei­ten mit Élan dich zu ler­nen. Umso mehr begeis­ter­te mich der deut­lich kom­pli­zier­te­re Auf­bau. Es mag nerdig klin­gen, aber ich ver­brach­te ger­nen an den Schul­hö­fen und in mei­ner Frei­zeit damit, dei­ne Dekli­na­ti­ons­ta­bel­len aus­wen­dig zu ler­nen und stolz die Spra­che Cice­ros zu rezi­tie­ren. Und hät­te ich dich nicht gelernt, wüss­te ich heu­te wohl nichts von Cicero!

Ernüch­te­rung zur Schulzeit

Aber zu mei­ner Schul­zeit kam die Ernüch­te­rung. Was ist denn das? Wör­ter­buch­ar­beit? Über­set­zen? Die gan­ze Zeit ein­fach über tote Leu­te und deren Fan­ta­sie-Mytho­lo­gien spre­chen? Nein, despek­tier­lich möch­te ich nicht sein. Das Pro­blem war nur: Das alles kann­te ich schon. Und schnell gab es einen Leer­lauf im Latein-Unter­richt. Das nahm sol­che Aus­wüch­se an, dass mei­ne dama­li­ge Latein-Leh­re­rin mich bat, ich sol­le nicht mehr wei­ter­ler­nen, weil ich ansons­ten einen zu gro­ßen Vor­sprung hät­te. Der Scha­den war aber ange­rich­tet: Selbst als ich auf­ge­hört hat­te, im Vor­aus zu ler­nen, konn­te ich schlicht­weg an der Über­set­zungs­ar­beit kei­ne Freu­den fin­den. So lern­te man doch kei­ne Spra­che. Ich war beschämt, wie die Gym­na­si­en mit dir heu­te umge­hen. Zu den guten alten Zei­ten muss­ten Schü­ler noch Auf­sät­ze auf Latein schrei­ben, bis dann Wil­helm II. nicht nur die schrift­li­che und münd­li­che Latein-Prü­fung, son­dern auch die preu­ßi­sche Mon­ar­chie beendete.

Den­noch nahm ich dich mit bis zu mei­ner Abitur­prü­fung und nahm dich sogar in die schrift­li­che Prü­fung mit, die ich anschlie­ßend mit einer glat­ten Eins ver­ließ. Mein Latein-Enthu­si­as­mus war aber für das ers­te gedämpft.

Luke Rani­e­ri, Lin­gua Lati­na per se illustrata

Eine neue Flam­me fand ich durch einen Zufalls­fund. Ein Ame­ri­ka­ner namens Luke Rani­e­ri betreibt einen You­Tube-Kanal unter dem Namen „Scor­pio Mar­tia­nus“. Durch ihn, den ich eini­ge Jah­re nach mei­nem Abitur ent­deck­te, konn­te ich sehen, dass es tat­säch­lich Men­schen gab, die des Latei­ni­schen fähig sind. Dann such­te ich wei­ter und fand das genia­le Buch „Lin­gua Lati­na per se illus­tra­ta“ und anschlie­ßend sogar einen gan­zen Latein-Subred­dit und einen Latein-Dis­cord-Ser­ver. Span­nen­de Zei­ten waren das!

Und so war mein Ent­schluss gefällt wor­den, nach dem Abschluss mei­nes Mathe­ma­tik-Stu­di­ums im Bache­lor noch ein­mal bei dir vor­bei­zu­schau­en. Und heu­te sind wir, wo ich immer noch von dir ange­tan bin, einen Blog und ein Wör­ter­büch über dich betrei­be und mich in einer sehr ange­neh­men Gemein­schaft Gleich­ge­sinn­ter bewe­ge. Ach Latein! Du bist eine so wun­der­ba­re Spra­che mit einem so ange­neh­men Klang, einer so ehren­haf­ten Dicht­kunst, und einer so gro­ßen Wirkung!

Durch dich ent­deck­te ich noch so vie­les mehr. Zun­gen alter Zeit, von Meis­tern alter Zeit: Die Epen Ver­gils, die Lie­bes­ge­dich­te Ovids und Sal­lus­ts, die Reden Cice­ros, die Geschichts­schrei­bung Sal­lus­ts. Ein so gro­ßer Schatz ging mit dir einher!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert