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Die­se Rezen­si­on habe ich vor knapp zwei Jah­ren geschrie­ben und seit­dem schlum­mer­te sie auf der Fest­plat­te mei­nes Rech­ners. Seit­dem ist eine wei­te­re Oper, Des Kai­sers neu­er Wal­zer, erschie­nen. Des­halb dach­te ich, ich ver­öf­fent­li­che die alte Rezen­si­on auch ein­mal gleich mit.

Als mich die Nach­richt erreich­te, dass die jun­ge Kom­po­nis­tin Alma Deut­scher (*2005) in Dezem­ber 2021 eine bear­bei­te­te Ver­si­on ihrer Oper „Cin­de­r­el­la“ in Salz­burg auf­füh­ren wol­le, stand für mich fest, dass ich die Oper schau­en muss. Bereits im Alter von 10 Jah­ren schrieb das jun­ge Genie die­ses Werk und nun hat es die­se über­ar­bei­tet und führt das Werk wie­der auf! Zwar hat die Coro­na-Pan­de­mie mei­ne Rei­se ver­zö­gert, aber am 21.12. – kurz vor Weih­nach­ten und nach einer sie­ben­stün­di­gen Zug­fahrt – habe ich die Oper mir zu Gemü­te füh­ren können.

Ich gehör­te schon immer zu den tie­fe­ren Bewun­de­rern ihrer Wer­ke, doch auch ich hat­te vor dem Schau­en die Zwei­fel, ob die­ses Werk mit den hohen Maß­stä­ben, die von Mozart bis Wag­ner gesetzt wur­den, reichten.

Hand­lung

Brau­chen wir die­se Oper?

Die Hand­lung „Cin­de­r­el­la“ (zu Deutsch „Aschen­put­tel“) dürf­te den Meis­ten in der Fas­sung der Gebrü­der Grimm bekannt sein. Der Aschen­put­tel-Stoff wird über Gene­ra­tio­nen über Mär­chen­bü­chern, Fil­men Hör­bü­chern und Erzäh­lun­gen tra­diert. Es stellt sich also die Fra­ge: „Oper, war­um exis­tierst du?“. Ein beson­ders schlech­tes Gefühl habe ich ent­wi­ckelt, weil am Libret­to fünf Autoren, dar­un­ter Deut­scher selbst und ihr Vater, mit­ge­wirkt haben. Eine so gro­ße Autoren­zahl ist eigent­lich ein schlech­tes Omen, weil mög­li­cher­wei­se der Wil­le des Ein­zel­nen dem Kom­pro­miss der Vie­len wei­chen muss. Sel­ten geht so etwas gut aus.

Über­ra­schen­der­wei­se ist der Text des Libret­tos (in der deut­schen Fas­sung) erstaun­lich gut. Kein Reim ist zu plump oder zu bil­lig. Die Wen­dun­gen des Tex­tes waren stim­mig und nicht stö­rend. Die­je­ni­gen, die am Libret­to mit­ge­wirkt habe, zei­gen erstaun­lich gutes Sprach­ge­fühl für die deut­sche Spra­che. Die Befürch­tung, dass das Libret­to unter der Autoren­zahl gelit­ten habe, haben sich damit zer­streut, auch wenn die Hand­lung nicht immer gut ist.

Ein femi­nis­ti­sches Narrativ …

Hät­te sich die Autoren für eine ori­gi­nal­ge­treue Inter­pre­ta­ti­on ent­schie­den, wäre ihre Oper zwei­fels­oh­ne in dem gan­zen Sud an Aschen­put­tel-Inter­pre­ta­tio­nen unter­ge­gan­gen. Glück­li­cher­wei­se haben sie sich für eine etwas freie­re Neu­in­ter­pre­ta­ti­on ent­schie­den. Die­ses Mal arbei­tet Cin­de­r­el­la in einem Opern­haus und wird von der Stief­mut­ter mit dem Abschrei­ben von Par­ti­tu­re trak­tiert. Der Prinz erkennt sie nicht anhand des Schuhs, son­dern anhand eines The­mas, des­sen Ende nur Cin­de­r­el­la kennt, wieder.

Die­se Ände­run­gen an der Hand­lung wir­ken nicht künst­lich, sie schmie­gen sich dyna­misch an den Ori­gi­nal­stoff an. So tut sich eine Chan­ce für Deut­scher auf, eine gute Hand­lung mit einem weib­li­chen Prot­ago­nis­ten zu schrei­ben. Denn der Prinz ver­liebt sich nicht in die Schön­heit Cin­de­r­el­las und erkennt sie auch nicht dar­an, dass ihre Füße in ein Schuh pas­sen. Der Prinz – sel­ber ein poe­ti­scher Dich­ter – ist von einer Ver­to­nung Cin­de­r­el­las ange­tan. Er ver­liebt sich in das kom­po­si­to­ri­sche Genie Cinderellas.

Es ist erfri­schend, dass in die­ser klei­nen Ände­rung nun mehr die inne­ren Wer­te als die äuße­ren Wer­te Cin­de­r­el­las zäh­len. Man kann die Ände­run­gen also auch als femi­nis­ti­sche Neu­in­ter­pre­ta­ti­on des alten Stof­fes auf­fas­sen. Der Stoff eig­net sich ja auch per­fekt dazu: Die Haupt­fi­gur ist weib­lich, die Ant­ago­nis­ten sind weib­lich. Die ein­zi­gen männ­li­chen Rol­len fin­den sich auf Sei­ten des Prin­zen, des Vaters und eines Hof­die­ners, ansons­ten ist die Mehr­heit der Besat­zung weiblich.

So spricht aus der Stim­me Cin­de­r­el­las gewiss auch die Stim­me der Kom­po­nis­tin Deut­scher, dass man nun die Kom­po­si­tio­nen eines klei­nen, jun­gen Mäd­chens ernst­neh­men sol­le. Fast so, als wol­le sie mit die­ser Oper die Män­ner­do­mä­ne der Kom­po­nis­ten erobern.

wel­ches lei­der nicht gelun­gen ist.

Lei­der gelingt die­ser Ansatz nur bedingt. Zu sehr klam­mert sich dafür Deut­schers Inter­pre­ta­ti­on an das Ori­gi­nal. Die Frau­en umwer­ben nach wie vor kri­tik­los den Prin­zen (auch wenn hier­bei deut­lich wird, dass sie nur an dem Sta­tus des Prin­zen inter­es­siert sind) und Cin­de­r­el­las Rol­le wirkt win­zig. Sie ist doch eigent­lich die Prot­ago­nis­tin und doch neh­men ihre Hand­lun­gen bemer­kens­wert wenig Ein­fluss auf die Geschich­te. Zwar kom­po­niert sie ein ein­zel­nes Werk, wel­ches als Aus­lö­ser der gesam­ten gilt, und setzt die Din­ge in Kraft, durch die sie den Prin­zen ken­nen­ler­nen kann – aber für die meis­te Zeit wirkt sie mehr wie eine Getrie­be­ne als eine Handelnde.

Am Ende der Hand­lung ist es wie im Ori­gi­nal der Prinz, der sie befreit. Und dass der Prinz sich in Cin­de­r­el­la ver­liebt, sei geschenkt. Dafür bie­tet die Hand­lung mehr als genü­gend Moti­va­ti­on an. Aber war­um ver­liebt sich Cin­de­r­el­la in den Prin­zen? In der Ori­gi­nal­ge­schich­te ist das klar: Weil er der Mär­chen­prinz ist, in den sich jedes Weib und jede Frau ver­lie­ben muss. In der Opern­hand­lung wird ange­deu­tet, dass am dich­te­ri­schen Kön­nen des Prin­zen liegt, aber so rich­tig klar wird die Moti­va­ti­on nicht. Und es wider­sprä­che ja eigent­lich dem Nar­ra­tiv, dass der Prinz nicht wegen sei­nes Prinz­seins geliebt wer­den will. Am Ende ist es doch nur wie­der ein Mär­chen und die eman­zi­pier­te Frau ist wohl doch nicht mehr so emanzipiert.

Um die­se gan­zen Hand­lungs­lü­cken zu schlie­ßen, müss­te die Oper län­ger dau­ern. Für zwei Stun­den gehört die Oper nicht zu den längs­ten Wer­ken und könn­te noch eini­ge Minu­ten mehr ertra­gen, um beson­ders Cin­de­r­el­la einen akti­vie­ren Anteil an der Hand­lung geben zu kön­nen. Selbst in der Ori­gi­nal­hand­lung war näm­lich Cin­de­r­el­la akti­ver als in die­ser Opernfassung.

Die Oper „Cin­de­r­el­la“ möch­te einen Spa­gat zwi­schen Ori­gi­nal­hand­lung und femi­nis­ti­scher Neu­in­ter­pre­ta­ti­on wagen – bei­de Ansät­ze sind jeweils legi­tim und kön­nen inter­es­san­ten Stoff brin­gen. Doch zusam­men wol­len sie nicht so recht harmonieren.

Leich­te Unterhaltung

Letz­ten Endes bie­tet ihre Oper leich­te Unter­hal­tung, auch wenn die Hand­lung nicht den höhe­ren Anfor­de­run­gen genügt. An meh­re­ren Stel­len merkt man auch, dass die Oper sich nicht immer selbst ernst­nimmt. Zum Bei­spiel kom­po­niert eine Stief­schwes­ter zu einem Gedicht, wel­ches kei­nen Sinn ergibt, auch eine Melo­die, wel­che kei­nen Sinn ergibt, und trägt sie vor – ein offen­sicht­li­cher Sei­ten­hieb an moder­ner Musik.

Manch­mal wer­den die Wit­ze aber zu oft wie­der­holt, bis der Letz­te sie ver­stan­den hat. Der Aus­spruch „Das Leben ist kei­ne Oper“, wäh­rend ein Dar­stel­ler dann zum Orches­ter rennt und befiehlt, auf­zu­hö­ren zu spie­len, mag beim ers­ten Mal noch zum Schmun­zeln brin­gen. Beim wie­der­hol­ten Male erschöpft er sich.

Musik

Nur blo­ße Stilkopien?

Wer nun eine Oper im Sti­le Scho­sa­ko­witschs etwa erwar­tet, wird her­be ent­täuscht wer­den. Der Kom­po­si­ti­ons­stil Deut­schers ist klas­sisch, ja man mag das fast als neo­klas­si­zis­tisch ein­ord­nen kön­nen. In einem ein­zi­gen Gen­re ihre Musik ein­zu­ord­nen, gestal­tet sich aber als schwer, weil hier und da Anlei­hen von ver­schie­de­nen Kom­po­nis­ten ver­schie­de­ner Epo­chen zu fin­den sind.

Es ist eine Streit­sa­che, ob man die­se Musik als Almas eige­nen beson­de­ren Stil oder als Misch­masch und Pot­pour­ri ver­schie­de­ner Sti­le bezeich­nen möch­te. Böse Zun­gen wür­den sogar behaup­ten, sie hät­te gar kei­nen Stil son­dern steh­le sich nur die Gimicks der gro­ßen Klas­si­ker zusammen.

Wenn die Stief­mut­ter gemein­sam mit ihren Stief­schwes­tern anstimmt, könn­te glatt der Maes­tro Mozart aus sei­nem Gra­be gestie­gen sein und eine Kopie sei­ner „Zau­ber­flö­te“ auf­ge­führt haben. Manch­mal zeigt die Instru­m­ent­wahl ihren Fin­ger auf Wag­ner, an ande­ren Stel­len deu­tet sie den Sti­le Ver­dis an. Man muss Deut­scher zugu­te hal­ten, dass sie die Sti­le der ein­zel­nen Meis­ter tief ein­stu­diert hat, um sol­che fili­gra­nen Imi­ta­tio­nen durchzuführen.

Und doch stört das nicht. Die Über­gän­ge und das Sprin­gen von Stil zu Stil sind weder bru­tal noch barsch. Weder stö­ren, noch schmer­zen sie; sie fol­gen gut auf­ein­an­der. Jemand, der nicht mit dem Opern­stoff ver­traut wäre, wür­de gar nicht mer­ken, wie die­se Sti­le inein­an­der übergehen.

Almas eige­ner Stil

Und doch hin­ter die­sen gan­zen Inspi­ra­tio­nen und Imi­ta­tio­nen spü­re ich einen eige­nen Stil von ihr. Ihre Ein­fäl­le und Ergüs­se, ihre Ideen und Impul­se erkennt man aus ande­ren Stü­cken wie­der, wenn man ihren Stil kennt.

Bei ihren älte­ren Stü­cken hat­te ich manch­mal die Befürch­tung, dass ihr Stil einer Zucker­wat­te gleicht. Man kos­tet ein klei­nes Stück­lein und fin­det es lieb­lich, duf­tend und süß. Doch wenn man grö­ße­re Men­gen zu sich nimmt, ver­geht einem die Lust und man wünscht sich doch einen bit­tren Kon­trast. Nicht umsonst har­mo­ni­sie­ren Kaf­fee und Kuchen so gut mit­ein­an­der. Ab einem bestimm­ten Punkt kann das Süße das Süße nicht wei­ter heben, son­dern braucht das Bit­te­re, um noch höher stei­gen zu kön­nen. Mei­ne Befürch­tun­gen waren, dass Deut­scher zu viel Kuchen und wenig Kaf­fee serviere.

In der Tat war nach mei­nem Gefühl zu wenig Kaf­fee und zu viel Kuchen ser­viert – aber wie gut war nur der Kuchen! Die­se gan­zen Ein­flüs­se der alten Meis­ter wir­ken wie die ver­schie­dens­ten Ver­zie­run­gen des Kuchens. Jeder Biss – so alt­be­kannt er sein mag – wirkt wie eine ande­re Geschmacks­explo­si­on. Die Musik ist für ihr Alter erstaun­lich reif und gut geworden.

Fazit

Wer nun eine völ­lig inno­va­ti­ve Oper mit ori­gi­nel­ler, lehr­rei­cher Hand­lung erwar­tet, wird nicht viel von der Oper bekom­men. Wer aber eine Abend­un­ter­hal­tung mit guter Musik erwar­tet, wird sehr erfreut sein. Gewiss war die Oper nicht die bes­te Oper, die ich jemals gese­hen habe – dafür bie­tet sie zu vie­le Män­gel. Die Rei­se nach Salz­burg für die­ses Stück hat sich aber alle­mal gelohnt – selbst für mich, der eigent­lich kein so gro­ßer Opern-Fan ist.

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